Der Umgang mit den Dingen ist eine Ausdrucksform des Individuums, über die es mit seiner Umwelt interagiert, sie gleichzeitig für sich erschließt und sich dadurch selbst konstituiert. Unser Interesse besteht in der Sensibilisierung für das, was uns physisch umgibt. Unter der Annahme, dass der Mensch sich Subjekt und Objekt zugleich ist, sich über das Dingliche dokumentiert und definiert, untersuchen wir das Ding als sachliche und symbolische Erweiterung von Persönlichkeit.
Über Theresia Enzensberger und ihr schönstes Ding.
Ich / Mutter / Internetexperte der CDU / Café-Typ
SZENE 1: ALLES ZUSAMMENGESCHUSTERT / WOHNUNG / NEUKÖLLN
WOHNKÜCHE, EIN GROßER TISCH MIT ACHT STÜHLEN; ZWEI METER TISCH, DAMIT VIELE LEUTE DARAN SITZEN KÖNNEN. SOFAECKE MIT DEM KOFFER. DARAUF EINE GLASPLATTE, DARAUF BÜCHER. EIN STUHL, GROßES REGAL, KLEINE SCHLAFHÖHLE, SO.
INTERNETEXPERTE DER CDU Ich soll was erzählen oder ihr erzählt mir was?
CAFÉTYP, HAT EIN FOUCAULTBUCH UNTER DEM ARM Ich schau mir gerne fremde Wohnungen an. Fremde Badezimmer. Eine Krankheit – da findet man das schon wieder schlimm, wie sehr die Moderne…
INTERNETEXPERTE DER CDU Wo stehen hier die Aktenordner?
ICH Oh Gott da drüben steht die Hölle.
MUTTER Das ist hässlich, aber das haben Leute.
ICH Ich schmeiß’ das mal weg.
CAFÉTYP Weil keine Geschichte dahinter steht?!
MUTTER Nein, Kind, warte, vielleicht wird es irgendwann so sein.
PLÖTZLICH GEHT ALLES IN FLAMMEN AUF. NIEMAND FÜRCHTET SICH.
MUTTER, NIMMT MEINE HAND Das macht nichts. Jetzt hören wir auf, drüber nachzudenken. Weg ist weg.
SZENE 2: PAST TENSE HAFEN / MEER / MÖWEN
DAMPFSCHIFFE, DER ÜBERSEEKOFFER DES GROßVATERS, BEKLEBT MIT FERNEN LÄNDERN; BLAUER DAMPF UND REISEPÄSSE, BÄRTE AUS STAHL, STEMPEL IN LILA UND SCHWARZ
ICH Irgendwas muss da ja sein. Die Geschichte ist für mich. Der Koffer als Erkennungszeichen. Darin die Kleider meiner Mutter, im Sommer weniger als im Winter. Als Kind gehe ich durch die Kleiderberge. Das ist so oh so abenteuerlich.
ICH Ich habe Angst, dass irgendwann alles weg ist.
MUTTER Irgendwas muss da ja sein, heute: als Abgrenzung zum ganzen Digitalen.
ICH Die Renaissance des Dinglichen als Abgrenzung zu irgendwas.
MUTTER Dann liegen vielleicht einfach Kleider drauf, so.
ICH Auf dem Laptop? Kann alles also alles sein?
MUTTER Aber ja, wenn es vergraben liegt.
ICH Das Internet und das Nichtinternet sind eins. Uh, jetzt müssen wir damit umgehen.
MUTTER So irre: ein Ding und da ist so ganz viel drin…
ICH Ich nehme mal an, dass es dazu eine Story gibt, dass große Firmen das Internet übernehmen.
MUTTER Aber in hundert Jahren verleihe ich niemals nur noch ebooks. Weil dann niemand am Strand damit war. Kein Sand zwischen den Seiten.
PAUSE
ICH Auch jetzt gehe ich noch durch Kleiderberge, bringe aber Bilder zum Rahmenmacher, zum Schutz. Da bekommt man diese Handschuhe und fühlt sich ehrfürchtig. Oh Gott wie toll. Das erste Mal, dass ich nicht einfach Tesa benutze.
MUTTER Siehst du Kind, das ist nur aus Energie entstanden.
ICH An solchen Dingen merkt man, oh, jetzt werde ich erwachsen. Der tägliche Kampf gegen die Entropie. Wenn man irgendwas sammelt, ist der schon länger verloren.
SZENE 3: LANGE SCHLANGE / FUTURE EDEKA / NEUKÖLLN
EIN SCHLAKSIGER ÖKO LEGT TAUSEND DINGE AUF DAS BAND. ES GEHT UM INFORMATION.
ICH Aha, wofür brauchst du vier Quark? Aha, wofür brauchst du fünf Fenchel? ZUM PUBLIKUM Meine Freunde verlieren ihre Geldbeutel auf Partys. Den Rest des Abends sind sie unbrauchbar, so. Die trashigen Geschenkläden da mit den Duftkerzen und so gab es schon immer. Warum es das jetzt hier auch geben muss… Oh wer braucht denn den Scheiß.
SZENE 4: ALLES ZUSAMMENGESCHUSTERT / WOHNUNG / NEUKÖLLN
WIE IN SZENE 1
CAFÉTYP …wie cool Brutalismus ist. Wir bauen uns eine Betonküche, um zu zeigen, was wir alles wissen.
INTERNETEXPERTE DER CDU Übrigens glaube ich auch, dass das mit dem Internet zusammenhängt, weil das damals alles noch Geheimwissen war. Jetzt ist das nichts Besonderes mehr… Das Internet ist neutral, würde ich sagen. Da gibt’s keine lästigen Rahmenbedingungen, keine lästigen Vorschriften.
ICH Ich weiß nicht mehr was abgeht… Trotzdem, im Supermarkt bin ich urteilender.
PAUSE
Die coolen Sneaker früher, die einem soziales Kapital gebracht haben, sind jetzt die 44.000 Follower auf Instagram. Aufmerksamkeit. Information. Schnell genug antworten. Die richtigen Sachen sagen.
CAFÉTYP Auf der anderen Seite können Objekte ja auch tröstend sein, wenn man so allein im Café sitzt.
MUTTER Die Leute haben ja jetzt ihre Handys.
ICH Der tägliche Kampf gegen die Entropie. Eigentlich muss man’s einfach schnell vergessen.
MUTTER Lass uns doch sagen: Kind, diese Datei hat schon deinem Großvater gehört.
ENDE
Theresia Enzensberger ist eine Wegschmeißerin. Nebenbei recherchiert sie für ihren Debütroman, arbeitet als freie Journalistin und ist Herausgeberin des BLOCK Magazins, das als Printprodukt erscheint. Sie mag Bauhaus und Ordnung. Ihr Laptop hingegen ist immer etwas schmutzig, nicht so der Koffer, der einmal im Besitz ihres Großvaters war, der bei ihren Eltern auf dem Dachboden rumlag, der ihr schönstes Ding ist. Ihr Großvater war Postbeamter. Heute steht der Koffer als Kaffeetisch in Theresias Wohnung in Neukölln.
Ein Interview mit Theresia Enzensberger, Text: Rebecca Fuxen