Gestohlene Luft: so lautet der Titel des letzten Lyrik-Bandes, den Yevgeniy Breyger bei kookbooks veröffentlicht hat und aus dem er liest, nachdem er ein ausführliches Gespräch mit Guido Graf geführt hat: über den Krieg in der Ukraine, seine Kindheit in Charkiv, über die dortige literarische Szene und über sein eigenes Schreiben.
Yevgeniy Breyger studierte Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim, Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und Curatorial Studies an der Hochschule für Bildende Künste Städelschule in Frankfurt am Main.
Er war Herausgeber der Tippgemeinschaft, der Jahresanthologie der Studierenden des Deutschen Literaturinstituts, sowie der Anthologie Ansicht der leuchtenden Wurzeln von unten – Lyrik aus den deutschsprachigen Literaturinstituten Biel, Hildesheim, Leipzig, Wien. Veröffentlichte in Zeitschriften und Anthologien, u.a: Jahrbuch der Lyrik, Lyrik von jetzt 3, Bella triste und Edit.
2016 erschien sein Debütband flüchtige monde bei kookbooks. Der Band wurde unter die Gedichtbände des Jahres im Literaturhaus Berlin und unter die besten Lyrikdebüts des Jahres im Haus für Poesie ausgewählt. Sein zweiter Band Gestohlene Luft ist im Oktober 2020 bei kookbooks erschienen.
Königreich des Regens
Aus: Yevgeniy Breyger, Gestohlene Luft
In der Nacht als das Dorf sich bewaffnet, erfährt sie
ihre Bestimmung die großen Felsen zu beschießen.
Am Flusslauf warten sie wie Augen. Entschieden,
ruhig kriecht Stein über Stein – Von ihr weg?
Wieder eine falsche Richtung, gröber als Sand,
Pulver, das ihr nicht gehorcht. Diese trockene Ader,
kann ich sie fassen? Felder – Felder. Wälder – Getier.
Im Denken verschwimmt eine Erinnerung. Sie läuft
in den Wind. Durch die innere Welt, entschlossen zum Fels,
hört Schüsse. Geschichte schießt auf Geschichte,
Hunde erschießen sich, Dorf schießt auf Stadt, Tiere
schießen Pflanzen auf Mineralien. Flinten gleiten
durch Hände. Substanzen beschießen ein weiches
Gemisch aus Gummi und Erde – Vogelschwärme
existieren als solche Geschosse, denkt sie,
und verschwinden zwischen Himmel, zwischen
Boden, in einer Brust. Weder Ankommen noch
Verschwinden ist möglich, wenn du so stark liebst.
Tritt hinaus, selbst der Fels hat gelernt, zu verzeihen.
Tritt über zu den Menschen, ihre Körper
halten sich am Leben, indem sie wie Knospen
aufgehen wenn es warm wird. Jahrlang Frühling,
wohin soll ich gehn? Aufgeben sei dir Gewinn.
Vergiss, was du tust, folge einem Gesang.
Gedichte. Berlin: kookbooks, 2020
Yevgeniy Breyger ist Mitglied des Dichter*innenkollektivs Salon Fluchtentier. Er lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.
Foto: © Yevgeniy Breyger