Lesung im Rahmen der internationalen Fachtagung Der Dichter und sein Schatten. Fallstudien zur Einflussdichtung, die vom 27. bis 30. April 2011 im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald stattfand.
[soundcloud id=’11376915′ autoPlay=’true’ format=’set’]Die Tagung hat versucht, das Phänomen der Einfluss-Lust (und nicht nur der „Einfluss-Angst“, mit der sich die wirkungsmächtige Studie von Harald Bloom auseinandergesetzt hat) unter der Perspektive ihrer Produktivität neu zu bewerten. Die Grundannahme ist, dass die Auseinandersetzung mit anderen DichterInnen und ihrer Sprache für die Entstehung einer eigenen Poetik konstitutiv ist. Dies gilt insbesondere für moderne Lyrik, in der im zwanzigsten Jahrhundert Formen wie Zitation und Montage, literarische ‚ready mades‘ und andere affirmative Formen von Intertextualität (bis zum Extremfall des Plagiats) ihre literarische Blüte erleben und aus dem Schatten des Trivialen treten. Das Verhältnis von Originalität und Epigonentum wird komplexer als bisher zu beschreiben sein. Nietzsche beklagt 1879 in Der Wanderer und sein Schatten die „Originalitätswut“ der Modernen, die im Unterschied zu den antiken Autoren eine regelrechte Angst vor der Konvention an den Tag legen würden. Doch gerade nachdem sich die modernen Autoren seit der Romantik scheinbar oder wirklich von den „Ketten“ der Tradition befreit (ein Bedürfnis jeder literarischen Avantgarde) und die vollständige Freiheit und Ungebundenheit ihrer künstlerischen Schöpfung behauptet haben, können sie sich ohne jegliche Einfluss- und Konventionsangst ‚leisten‘, auch epigonal zu sein: Wo der Zwang der Konvention nicht mehr so stark ist, kann die dezidierte Aneignung fremder Vorbilder anfangen