“Ich sollte meine Schwester bitten, nach mir zu sehen. Gedanken sind gefährlich. Sie graben sich Gänge, viele Gänge, in denen man sich aufhalten kann, ohne mehr das Gesamtgebilde zu erfassen. Immer mehr Gänge bilden sich in in mir. Ich sollte Fieber messen. Ich behalte die Tür im Auge. Es ist ruhig, als sei nichts. Man gewöhnt sich an alles, dauert es nur lange genug an. Ich habe kein Bedürfnis danach, jemanden zu sehen, mir von jemandem helfen zu lassen. Ich fürchte mich nicht davor, unberührt zu leben. Ich habe keine Bedürf- nisse. Dies ist einer der Gedanken, die gefährlich sind, ich habe keine Bedürfnisse. Und so sitzt du auf einem Stuhl, du hörst dich atmen, das ist alles. Landschaft hast du vergessen.”
Es ist Zielinski, der da aus dem Nichts heraus Einzug in die Wohnung eines allein lebenden Mannes hält. Zielinski, der gepflegte, höfliche Fremde, lebt fortan in einer mit blauem Samt ausgeschlagenen Holzkiste, im größten Zimmer des erzählenden Protagonisten. Es riecht nach Holz. Riecht es wirklich nach Holz? Zielinskis Stimme ist schön. Spricht Zielinski wirklich? “Zielinski” ist die Geschichte einer sich obsessiv-wahnhaft steigernden Selbstentfremdung. Nahezu unbemerkt von seinem sozialen Umfeld zieht sich ein Mensch Schritt für Schritt zurück, er kippt aus dem alltäglichen Leben.
Nina Jäckle, 1966 in Schwenningen geboren, wuchs in Stuttgart auf, besuchte Sprachschulen in der französischen Schweiz und in Paris, wollte eigentlich Übersetzerin werden, beschloss aber mit 25 Jahren lieber selbst zu schreiben, erst Hörspiele, dann Erzählungen, dann Romane. Sie erhielt zahlreiche literarische Auszeichnungen, beispielsweise den Karlsruher Hörspielpreis, das große Stipendium des Landes Baden-Württemberg, das Arbeitsstipendium des Deutschen Literaturfonds sowie das Heinrich-Heine-Stipendium. Sie ist Mitglied im VS Baden-Württemberg und im deutschen P.E.N.
“Zielinski” ist im Verlag Klöpfer & Meyer erschienen.